dich einfühlen

6. Juni 2023

Vor ein paar Tagen im Naturbad bei uns in der Nähe: Ich sitze mit meinen Kids vor dem Schwimmbad-Bistro und wir essen ein Eis. Wir sehen alle drei wie zwei Kinder (eins so um die 4, das andere wahrscheinlich 2) um die Wette rennen. Plötzlich stürzt das kleinere Kind und schlägt mit dem Kopf auf ein Spielgerät aus Holz. Die Mutter kommt angerannt, schnappt das Kleine und schreit das Grosse an: „Du hast ihm ein Bein gestellt, ich hab’s genau gesehen! Dass du deinem Bruder immer absichtlich weh tun musst!“ Es braucht nur einen kurzen Blick zu meinen Kids, um zu wissen, dass sie das gleiche gesehen haben wie ich: Niemand hat hier irgendwem ein Bein gestellt. Das kleinere ist einfach so gestolpert. 

Inzwischen rennt die Mutter mit dem Kind unterm Arm an uns vorbei. Entweder ich sage jetzt etwas oder nie. Ich rufe ihr zu: „Sind Sie wirklich sicher, dass Ihr Sohn das absichtlich getan hat?“. Die Mutter hält einen Moment inne, schaut mich überrascht und irgendwie entgeistert an. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich die Hoffnung, dass sie aus ihrem Film aussteigt, dass sie merkt, dass das hier niemandem dient, dass sie allen einschliesslich sich selbst nur weh tut. Doch sie antwortet gereizt: „Er stellt seinem Bruder absichtlich ein Bein und ich bin die, die gemein ist. Na super!“ Und weg ist sie. 

Mist. Sie hat sich von mir angegriffen gefühlt. 

„Ich hätte sie fragen sollen, ob sie erschrocken ist, als sie gesehen hat, wie sich das kleine Kind den Kopf anschlägt“ sage ich zu meinen Kids. Ich hätte ihre Not und Überforderung sehen sollen. Stattdessen war ich mit meinem ganzen Mitgefühl bei dem grösseren Kind, das vor Schreck kein Wort mehr rausbekommen hat und völlig energielos der Mutter hinterher gelaufen ist. 

Mein Herz reisst auf und mir schiessen die Tränen in die Augen. Ich sehe mich in beiden: in dem grossen Jungen, der nicht gehört und gesehen wird und in der Mutter, die sich selbst nicht spürt und ihr Kind anschnauzt. Ich kenne beides aus eigener Erfahrung. 

In diesem Moment BIN ich der Junge und ich BIN die Mutter. 

Ich würde mich am liebsten schluchzend auf den Boden werfen. Es fühlt sich an, als würde ich dann nie wieder aufstehen. Weil das Leben so sinnlos ist. Denn wenn ich so oder so nie gehört und gesehen werde (wie der Junge) und nie mit mir verbunden sein werde (wie die Mutter) - warum dann noch leben?? 

Ich kann nicht sagen, was mich zurückgeholt hat. Jedenfalls war ich plötzlich wieder im Hier und Jetzt. Hab meinen Kids in die Augen geschaut. Hab das Grün um mich herum wahrgenommen und die anderen Menschen. Den Badetrubel und die friedliche Abendstimmung. Wir sind nochmal ins Wasser und haben den Tag entspannt ausklingen lassen. Auf dem Velo auf dem Weg nach Hause spüre ich: Ich werde einfach dran bleiben und mich selbst immer wieder von Neuem hören und sehen. Und andere Menschen begleiten. So dass sie sich auch selbst hören und sehen. Und sich irgendwann gegenseitig hören und sehen. Egal wie klein oder gross mein Impact ist. Das ist es, was ich mache und was ich machen möchte. Es gibt meinem Leben Sinn ✨

 

4. Januar 2021

Dieser Moment, wenn du die ganze innere Welt deines Partners/ deiner Partnerin auf diese vier Worte reduzierst: „Ich verstehe dich ja“.

Und dann ohne Luft zu holen, den Fokus zu dir bringst: „Aber ich wollte ja nur sagen, dass…“.

Dieser Moment wird wahrscheinlich wieder kommen. Unabhängig von den guten Vorsätzen, mit denen du ins neue Jahr gestartet bist. Zu allgegenwärtig ist dieses oft unbewusste Muster: Den anderen beruhigen zu wollen, indem wir gute Gründe aufzählen, warum es nicht nötig ist, sich so aufzuregen oder was auch immer zu fühlen und uns zu rechtfertigen, indem wir noch einmal mit Nachdruck sagen, wie wir es eigentlich gemeint haben. Alles nachvollziehbar und menschlich. Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass so keine echte Verbindung entsteht.

Verbindung entsteht, wenn du dem anderen bewusst Raum gibst. Wenn du zu ihm hinspürst, neugierig und offen: „Ah, so ist das, du bist total aufgebracht und du wünschst dir nichts mehr, als dass das alles einfach ein Ende hat“. Ohne irgendetwas zu wollen. Ohne die Idee zu haben, dass du irgendetwas tun musst, damit das alles ein Ende hat. Einfach, weil es das ist, was im anderen lebendig ist. Und hier auf dieser Ebene Verbindung stattfindet. Nicht in den vielen Erklärungen und Meinungen, die unser Hirn unablässig und ohne unsere Aufforderung produziert. Deshalb: Wie fühlt sich seine Welt an? Kann gut sein, dass es dort ganz anders ist als in deiner. Vielleicht macht es dir auch ein bisschen Angst, wenn du merkst, dass dein Partner so intensive Gefühle hat, während du ganz anders auf die gleiche Situation reagierst. Satt ihm die Welt erklären zu wollen, gehe folgender Frage auf den Grund: Wonach sehnt sich sein Herz? Was ist das schönste, das er erleben könnte?

Das kannst du auch irgendwann später machen und dann im Gespräch noch einmal auf den Moment vor dem Aber zurückkommen. Bevor du dir also im Nachhinein Vorwürfe machst, dass du wieder nicht emphatisch reagiert hast, werde wach und entscheide dich, dich JETZT in ihn einzufühlen. Um der Verbindung willen. Ein einzelner Vorsatz am Jahresanfang reicht nicht. Wach-Werden müssen wir immer wieder neu. Auch ich. Bist du bereit?

 

18. Januar 2022

This.

Wie der Mann auf dem Foto (das der deutsche Fotograf und Künstler Wolfgang Tillmans gemacht hat) mit den Händen versucht nachzuempfinden, wie es ist, ein Hirsch zu sein. Die Ernsthaftigkeit im Gesicht, die zugleich auch Offenheit ausdrückt. Der Körper geerdet und ausgerichtet.

Das ist es. Darum geht es beim Empathisch-Sein. Kein kopfiges Verstehen-Wollen, sondern aus dem Körper heraus Begreifen-Wollen. In sich selbst einen Raum schaffen - für das, was ganz anders ist. Für die Erfahrung des anderen. Und die eigene Erfahrung für einen Moment zur Seite stellen können. Dann kann Empathie frei fliessen und eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen. Was im schönsten Fall zu echter Verbindung führt.

Und sieht das Kleidungsstück, das in den offenen Rucksack reingestopft ist, nicht wie ein Tier aus, das mit gespitzten Ohren aufmerksam zusieht und zuhört? Bereit in jedem Moment einzuspringen, falls es mit dem Verstehen doch nicht so klappt? Ich sehe in diesem ‚Ding‘ die dritte Person, die ich uns allen bei jedem Streit zur Seite wünsche. Die Person, die das, was ungeschliffen aus unserem Mund herauskommt in die Sprache der Bedürfnisse übersetzt und so dazu beiträgt, dass wir uns von der Erfahrung des anderen berühren lassen. Was wiederum ein guter Ausgangspunkt ist, um Lösungen zu finden, die uns helfen, die kleine oder grosse Veränderung ins Leben zu bringen, nach der wir uns sehnen.

Und dann noch dieses Wortspiel im Titel: Deer Hirsch - dear Hirsch.
Was für eine Vielschichtigkeit.
Wow. Ich liebe dieses Bild.

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21. April 2021

Es gibt 100000000000000000 (sprich unendlich viele) Möglichkeiten....

…ein Bedürfnis ins Leben zu bringen. Das ist doch der pure Wahnsinn, oder??

Warum halten wir dann so oft an unserer Vorstellung, wie etwas sein soll, fest?? Warum ist es so schwer, loszulassen und sich für eine andere Strategie zu öffnen? Reicht es nicht, wenn die Küche ordentlich ist? Warum müssen die Tassen genau links von den Tellern stehen und nicht rechts??

Weil es nicht nur um Ordnung, sondern auch darum geht, dass wir gesehen und gehört werden. Und trotzdem: Es gibt auch unendlich viele Möglichkeiten, gesehen und gehört zu werden. Doch wir wollen eben nicht von irgendjemandem gehört und gesehen werden, sondern von den Menschen, die uns nah sind. Dann ist die spannende Frage vielleicht nicht: Warum beissen wir uns so oft an der einen Strategie fest? Sondern: Wie können wir einen Shift initiieren, so dass in uns Spielraum für andere Möglichkeiten entsteht, ohne dass wir dabei das Gefühl zu haben, schon wieder nachzugeben?

Natürlich liegt mir jetzt auf der Zunge, was ich schon in anderen Posts geschrieben habe: die eigenen Gefühle wahrnehmen und anerkennen, bei ihnen verweilen und sich dann mit dem Bedürfnis verbinden, auf das uns dieses Gefühl hinweisen möchte. Denn wenn wir beim Bedürfnis sind, dann sind wir in diesem Raum mit den unendlich vielen Möglichkeiten. Das stimmt alles. Und doch stimmt es auch nicht. Oft sind wir für die vielen anderen Möglichkeiten schlicht nicht offen.

Wie also diesen Shift initiieren?

Natürlich habe

auch ich kein Rezept. Nur meine Erfahrung und die sagt sagt: Es hat mit

einer Vorwärtsbewegung zu tun. Und die beginnt

im Innern. Mit der Absicht, sich in den Raum zum anderen hin bewegen zu wollen. Sich ins Leben hineinlehnen zu wollen. Wenn wir uns das aufrichtig wünschen (und irgendwann kommt dieser Moment, weil jeder von uns irgendwann müde ist, sich immer wieder in den gleichen Kämpfen zu verheddern), dann kann die innere Bewegung größer werden und an Momentum gewinnen. So dass plötzlich etwas in uns aufgeht und wir in den Raum mit den unendlich vielen Möglichkeiten hineinkatapultiert werden. Der Konflikt ist vielleicht nicht weg, aber er nimmt einen anderen Verlauf. Und die Tassen dürfen vielleicht sogar auf den Tellern stehen;-) Hey, das ist doch was, oder?

 

28. Mai 2021

Stell dir vor, du bist mit deinem Hund unterwegs und das sagt jemand, der dir mit seinem angeleinten Hund an einer Baustelle entgegenkommt.

Wie reagierst du?

- Du erwiderst gereizt: „Ja, hätte man…“
- Du sagst: „Das könnten Sie aber auch freundlicher sagen!“ Gleichzeitig ist da ein schlechtes Gewissen: „Ja, stimmt schon, hier ist es ziemlich eng...“
- Du gehst einfach weiter und denkst: „So ein Idiot! Der hat sich wahrscheinlich heute morgen mit seiner Frau gestritten..!“

Welche Antwort auch immer deine ist: Wie geht es deinem Herz dabei? Zieht es sich zusammen oder ist es offen? Anders gefragt: Gibt es da Raum für diesen Menschen, der dich nicht mal persönlich anspricht, sondern sich hinter einem unpersönlichen „man hätte…“ versteckt? Bist du bereit, zu ihm hinzuspüren? Und zu erspüren, was ihn in diesem Moment auf der Ebene von Gefühlen und Bedürfnissen bewegt? Bist du bereit, diesen Menschen so ungehalten sein zu lassen, wie er ist? Also nicht in Erklärungen zu gehen, wie die mit dem Streit mit seiner Frau, denn die haben leicht einen abwertenden Beigeschmack. Und auch nicht in Belehrungen darüber, wie man eigentlich sprechen sollte... Vielleicht geht es ihm ganz simpel um Sicherheit und er möchte mit dem ernst genommen werden, was ihm wichtig ist. Vielleicht ist das die einfache Wahrheit. Sie findet sich immer unter der Meinung über einen Menschen.

Kann sein, dass du in der Situation selbst gar nichts sagst. Entscheidend ist, was in dir passiert. Ob du aufrichtig daran interessiert bist, anders zu reagieren, als du es gewohnheitsmässig tust. Auch wenn es nicht immer gelingt...

Ich sage das, weil ich glaube, dass es Übungsfelder braucht, wenn es einem wirklich ernst ist mit einer Welt, in der wir mit Konflikten und Spannungen anders umgehen. Aus dieser Perspektive ist ein Mensch wie der mit dem Hund eine Einladung: zu üben, unser Herz zu dehnen. Irgendwann sind wir dann bereit für das nächste Level. Ob wir schon so weit sind, zeigt sich, wenn ein Mensch, der uns wirklich nahe ist, mit dem, was er sagt, einen verletzlichen Punkt in uns berührt…

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